Abgeguckt
Jetzt fahren auch schon junge Leute mit Wohnmobilen herum und tummeln sich mit raumschiffähnlichen Fahrzeugen auf Campingplätzen und Stellplätzen, schönen Panoramawegen und idyllischen Plätze. Nicht wie früher, mit einem alten Bulli und Matratze hinten drin, sondern mit den richtigen, topmodernen Hightech-Kisten. „Damit fahren doch nur die rüstigen Rentner durch die Gegend“ – Denkst‘ e. Das war früher. Jetzt sind die Kinder der rüstigen Rentner damit unterwegs. Der Siegeszug der E-Bikes setzt sich längst auch dort durch, wo man noch genug Kraft zum echten Treten hat. Die neue Generation folgt den Spuren der alten. Von wegen „Widerspruch der Jungen“. Die Lebensgewohnheiten meiner Generation haben sich problemlos übertragen auf meine Nachfahren. Sogar auf Kreuzfahrten trifft man inzwischen jüngere Leute, hab ich gehört. „Echt? Die jungen Leute sind doch alle bei Fridays-For-Future und setzen sich für Klima- und Tierschutz und Gerechtigkeit ein.“ Ein Märchen, mit dem wir routinierten Erwachsenen uns beruhigen oder sedieren lassen: Wir „Alten“ können ruhig so weitermachen wie bisher. Die Jüngeren werden es lösen, weil die ja alle so engagiert sind. Dumm nur, dass die jungen Leute die Lebensstile und Ansprüche der Alten übernehmen und immer noch einen draufsetzen.
Manchmal kommt es vor, dass ich mir eine Pizza bei einem Lieferdienst bestelle, weil ich die Geschmacksverstärker darin so schmackhaft finde und keine Lust zum Kochen habe und Kartoffeln meinen Speichelfluss nicht anregen. Meine Kinder machen daraus: Kochen ist doof und Pizza bestellen kann nur der Regelfall sein. Wenn ihr Geld reicht, ist das auch der Regelfall. Schwupp, einen draufgesetzt - von der eigenen Brut.
„Ich glaube, dass man es sich stets gut gehen lassen soll“ – Ein modernes Glaubensbekenntnis. Seit den 60er Jahren gilt es. Jede Generation hat`s gehört, verstärkt und vorgelebt, allen moralisch höheren Wertbekundungen zum Trotz. Wenn ein Politiker heutzutage meint, man könne ja auch mit dem Waschlappen klarkommen oder nur einmal im Jahr in Urlaub fahren, z.B. um Geld zu sparen oder für`s Klima, dann folgt prompt ein Schmerzensschrei der Empörung. „Bitte?! Soll ich mich etwa einschränken?!“
Als Gipfel der Einschränkung werden eigene Kinder angesehen vermute ich. Immer weniger Menschen wollen Kinder. Jedenfalls bei uns im Land. Dass das für die Rente doof ist und auch für die Sozialsysteme, das ist ein alter Hut. Weniger bekannt ist, dass weniger Kinder auch eine immer kleiner werdende Kinder- und Jugendlobby bedeuten. Entsprechend wuchtig wird dafür die Lobby der Alten. Gute Beispiele liefert dafür die Coronazeit. Wer das Pech hat, doch noch als Kind geboren zu werden, muss sich irgendwie in die Erwachsenenwelt einfügen. Und wer das Pech hat, Mutter oder Vater von Kindern zu werden, kann in der Welt der Alten nicht auf eine gesellschaftliche Willkommenskultur für Kinder und Familien hoffen. Und nicht ganz unwichtig: Bei immer weniger Kindern gibt es auch immer weniger Eltern. Gut, die Väter sind womöglich entbehrlich als gesellschaftliche Größe. Untersuchungen zeigen das. Mütter aber prägen und gestalten die Welt. Nicht nur die der Kinder. Sie sind eine erhebliche gesellschaftliche Kraft. Weniger Mütter bedeuten auch, weniger Lobby für Mütter und weniger Engagement durch Mütter. Folge: Weniger Kinder. Wer will sich schon ins Abseits manövrieren?!
Naja, ein paar Kinder wird es wohl immer geben. Aber ich vermute, solange meine Generation, die ja noch was für Kinder übrig hatte, es sich vor allem erstmal gut gehen lassen will, solange werden die Wohnmobile immer größer und zahlreicher und die Familien immer kleiner und seltener.
„Lasst die Kinder zu mir kommen“ – ich glaube, Jesus fand die reine Erwachsenenwelt damals schon ziemlich öde. Besonders für die Erwachsenen selbst. Trotz neuem Wohnmobil.
Dietmar Meyer, Pastor Dionysius-Lehe