Der Baum des Lebens
Hat das schon mal jemand zu Ihnen gesagt: „Du redest schon wie deine eigene Mutter!“ oder „Das hast du eindeutig von deinem Vater!“
Damit meinen wir, dass wir eine Angewohnheit, das Aussehen oder eine Begabung offensichtlich von einem Elternteil „geerbt“ haben. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.
Mit dem Begriff „Erbe“ verbinden die meisten Menschen das materielle Erbe in Form von Geld oder Immobilien. Daneben gibt es das soziale Erbe. Das sind schöne Traditionen oder Eigenschaften, für die wir dankbar sind. Es gibt allerdings auch das „schwere Erbe“: die Eigenschaften unserer Eltern, die wir nie haben wollten, denn wir haben uns geschworen, so nie werden zu wollen!
Wir wundern uns über diese „Erbschaften“, erforschen unsere eigene Identität und fragen uns: warum bin ich eigentlich so und wem bin ich ähnlich? Dahinter steckt der tiefe Wunsch, herauszufinden: wer bin ich, zu wem gehöre ich und woher komme ich eigentlich?
In vielen Familien gibt es eine Gesprächskultur, die es ermöglicht, die eigenen Eltern und Großeltern zu befragen. Was hat deren Leben geprägt, wie haben sie ihre schönen Lebensereignisse und schweren Krisenzeiten verarbeitet? Wir stellen dabei fest, wie sehr die Lebenserfahrungen und Lebensweise unserer Vorfahren unsere Werte und unseren Charakter geprägt haben.
Viele Menschen begeben sich auf Spurensuche in alten Kirchenbüchern. Inzwischen hilft das Internet, und es gibt sogar Anbieter, die per DNA-Analyse herausfinden, welche ethnische Herkunft man hat. Alte Fotos werden hervorgekramt und wir erkennen Ähnlichkeiten mit längst verstorbenen Verwandten. So vervollständigt sich die Geschichte der eigenen Familie wie die einzelnen Verästelungen eines Baumes und wir können Rückschlüsse ziehen auf unser eigenes Leben und unsere Identität.
Das Wort „Stammbaum“ passt gut zur Familienforschung. Der Stammbaum ist eine bildliche Darstellung in Form eines Baumes zu unseren Vorfahren und Nachkommen. Der Baum ist nicht ohne Grund ein beliebtes Motiv in Religionen und Märchen. Die vielen Blätter, Äste und Verzweigungen stehen für die vielen lebenden und verstorbenen Menschen, die zu uns gehören, die uns ähnlich sind und mit denen wir uns verbunden fühlen. Und die Wurzeln stehen für den festen Stand und das Vertrauen, das wir brauchen, um neben diesen vielen Menschen ein einzigartiges und unverwechselbares Leben führen zu können. Der Familien-Baum verbindet Himmel und Erde in uns: Die Baumkrone berührt den Himmel und die Wurzeln reichen bis tief in die Erde.
Wir sind - trotz aller Unterschiedlichkeit - alle miteinander verbunden.
In der Bibel gibt es mehrere Bibelstellen, in denen der Baum als hoffnungsvolles Bild vorkommt, hier einer meiner Lieblingsverse:
„Gesegnet ist jede Frau und jeder Mann, die auf Gott vertrauen und deren Rückhalt Gott ist. Sie sind wie Bäume, am Wasser gepflanzt, zum Wasserlauf strecken sie ihre Wurzeln hin. Dass Hitze kommt, fürchten sie nicht, sie behalten ihr Laub. Auch in einem Dürrejahr sind sie ohne Sorge, sie hören nicht auf, Frucht zu tragen.“ Jeremia 17,8 in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache.
Hanna Hagedorn, Diakonin in der Krankenhausseelsorge