Liebe Leserinnen und Leser!
Kennen Sie noch Karl May? Männer kennen ihn wahrscheinlich noch, Frauen wohl weniger, denn mit Winnetou, Old Shatterhand, Old Surehand, den Helden Karl Mays, sind viele Generationen von Jungen aufgewachsen. Ob es heute auch noch so ist? Ich weiß es nicht. Ob seine Bücher gut sind, das weiß ich auch nicht. Aber es lohnt sich, an Karl May zu denken. Der lebte in tiefster Provinz in Radebeul in der Nähe Dresdens. Seine gewohnte Umgebung konnte er nicht verlassen, dazu fehlte ihm das Geld. Doch er dachte sich in andere Welten hinein. Er schrieb über Amerika, Afrika, über Asien, er schrieb über Abenteuer mit Inkas, Cowboys und Indianer. Manchmal tauchten arabische Sätze auf. Er schilderte alles, als habe er es selber erlebt, aber tatsächlich hatte er nichts davon selber gesehen, geschweige denn erlebt. Auch die fremden Sprachen beherrschte er nicht. Aber was wichtiger war: Er hatte sich informiert. Er hatte viel gelesen, seine Phantasie spielen lassen und dann seine Bücher geschrieben. Und dabei hatte er ganz erstaunliche Einsichten. Die Indianer waren für ihn keine Wilden; die Indianer waren für ihn vielmehr die wahren Menschen, von denen die Europäer vieles lernen konnten. Beeindruckend in einer Zeit, da die Europäer sich allein für die richtigen Menschen hielten und nur mitleidig auf die anderen blickten, die für sie nur Wilde oder Primitive waren. Karl May überschritt dieses Denken, überschritt damit Grenzen zwischen Menschen und verschiedenen Kulturen, er ließ sich nicht festlegen. Ich finde diese Haltung beeindruckend und nicht nur das. In ihr wird für mich deutlich, was Paulus meinte, als er im 2. Korintherbrief (2. Kor 3, 17) sagte: „Der Herr ist der Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“. Vertrauen auf Gott, der Glaube eröffnet neue Perspektiven. Wer sich von Gott getragen fühlt, kann sich auf Neues einlassen. Warum auch nicht, Gott hält ihn doch. Da müssen wir nicht gleich Karl May sein, seine Einstellung aber – Christ war er sogar auch – können wir übernehmen. Wie schön ist doch das Leben, wenn wir immer wieder Neuem und unbekannten Menschen begegnen und dann kennenlernen. Der Herr ist der Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Wir brauchen diese Freiheit, jeden Tag und gerade jetzt vielleicht noch dringender als sonst. „Wir zuerst“, das ist scheinbar die Parole der Gegenwart. Was kümmern uns die Anderen? Sind die uns egal, haben die Pech gehabt, wenn es ihnen schlecht ergeht? Sicherlich nicht. Nein,. „Alle Menschen werden Brüder“ ist kein sentimentales Wort aus längst vergangener Zeit. Wir werden nicht nur Geschwister, wir sind es bereits. Denn alle Menschen, ganz egal wo sie leben, sind aufeinander angewiesen. Lassen wir uns darum nicht von den schrecklichen Vereinfachern mitnehmen, die angeblich die einfachen Lösungen für die komplizierten Probleme haben. Die gibt es nicht. Wir haben die Freiheit, über den Tellerrand zu blicken. Wir können etwas am sogenannten Lauf der Dinge ändern. Wir können mit Anderen sprechen, gerade auch mit denen, die uns fremd sind. Wir können es, wie schwierig es auch manchmal sein mag. Wir können und wir müssen auch von einander lernen.
Falls Sie also vielleicht doch mal ein Buch von Karl May lesen sollten- das kann man auch als Erwachsener noch- dann lassen Sie sich von seiner Phantasie mitnehmen, von dem Geist der Freiheit, der in ihm spürbar ist. Und vergessen Sie dabei nicht: Nicht nur Karl May konnte Grenzen übersteigen, wir können es auch. Gott gibt uns die Möglichkeit dazu.
Michael Maschke
Schulpastor am Kreisgymnasium Wesermünde