Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Joh 6,37
Da saß sie nun. Schluchzend. Taschentücher füllten den Fußboden neben dem überquellenden Mülleimer. Rotz und Wasser heult sie und nichts und niemand kann sie trösten.
Sie hatte sich ihrem Herzensmenschen offenbart und war abgeblitzt. „Es wird nicht der letzte Korb sein, den du bekommst.“ Väterliche Lebensweisheiten die keiner braucht.
Und doch, so schmerzhaft es ist, es stimmt. Im Leben werden wir immer mal wieder abgewiesen. Eine nicht erwiderte Liebe, eine abgelehnte Bewerbung, ein ausgeschlagenes Gesprächsangebot, ein nicht entsprochenes Hilfeersuchen, und so weiter. Es gehört dazu und ist mal besser, mal schwerer zu verkraften.
Auf der anderen Seite ist es auch hin und wieder nötig, selbst einen Korb zu geben. Aus einer Freundschaft kann ja schlecht mehr werden, wenn man dies gar nicht möchte. Aber auch andere Anträge müssen abgelehnt werden, wenn es unehrlich oder nicht machbar oder falsch wäre.
Auch das ist schmerzhaft. Jemanden zu enttäuschen ist selten schön und stört die Harmonie.
Das gilt um so mehr, wenn es sich bei dem Antrag um echte Notlagen handelt:
Patienten in der Notaufnahme eines vollbelegten Krankenhauses. Schutzsuchende an der Pforte eines überfüllten Frauenhauses. Beistandsuchende mitten in der Nacht an der Tür zum Pastorenhaus. Flüchtlinge an der Grenze im Winter, die für internationale Politikspielchen mißbraucht werden. Und vieles anderes mehr. Nachvollziehbar oder nicht, abweisen und abgewiesen werden gehört zu unseren (mitunter bittersten) Erfahrungen. Und selbst wenn wir gerne würden, manchmal geht es nicht anders. Ich bin ja nicht Jesus!
Genau. Denn der verspricht uns: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Johannesevangelium 6,37) Dabei geht es nicht um Gebetserhörung oder göttliche Wunscherfüllung. Es geht um seine Freundschaft. Jesus wird eine Freundschaftsanfrage nicht ablehnen. Anders als wir, ist er in der Lage, jeden Menschen zu ertragen, zu lieben und anzunehmen. Da, wo unsere Freiheit an Grenzen stößt, ist seine Liebe grenzenlos. Unsere Zeit, Macht, Energie und Empathie sind limitiert - Gottes nicht!
Die Jahreslosung für 2022 ist Herausforderung und Verführung zugleich. Einerseits fordert sie die Nachfolger:innen Jesu heraus, als seine Botschafter ihm auch darin nachzueifern, niemanden abzuweisen. Andererseits wäre es eine völlige Selbstüberschätzung zu meinen, dass jeder Christ und jede Christin dazu in der Lage ist. Nur Gemeinsam, an vielen verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Kompetenzen, kann es uns gelingen, möglichst viele Hilfesuchende aufzunehmen. Das muss ein Ziel der Kirchen sein!
Ich wünsche Ihnen für dieses neue Jahr 2022 und darüberhinaus
- die Kraft, Körbe zu ertragen und nach einer Ablehnung auf etwas neues Blicken zu können;
- den Mut, jemanden abzuweisen, wenn es ehrlich und nötig ist, weil wir nicht Jesus sind;
- und den Trost zu wissen, und vielleicht auch zu vermitteln, dass weder Sie, noch sonst jemand, bei Jesus abgewiesen wird.
David M. Peter;
Pfarrverwalter i.A.