Andacht November 2018

05. Oktober 2018

Von Martin Luther sind viele markige Sprüche überliefert. Einer lautet:

Wie ein Schuster einen Schuh macht
und ein Schneider einen Rock,
also soll ein Christ beten.
Eines Christen Handwerk ist Beten.

Ist Beten ein Handwerk? Sind Christinnen und Christen mit einem Schuster oder Schneider vergleichbar? Das Handwerk zeichnet die Arbeit mit den Händen aus. Auch wenn Schuhe und Kleidung heutzutage größtenteils industriell gefertigt werden, gibt es nach wie vor klassisches Handwerk. So installiert ein Heizungsbauer eine Heizungsanlage, damit das Haus gut beheizt werden kann. Beten ist auch ein Handwerk: Man faltet die Hände. Doch alles andere ist wohl eher Kopfarbeit. Sichtbare Ergebnisse gibt es scheinbar nicht.

Was meint Luther wohl mit Handwerk? Beten ist für Christinnen und Christen ein Beruf, besser gesagt eine Berufung. Beten ist demnach Hauptsache, keine Nebensache. Es ist etwas Alltägliches und nicht nur dem Sonntag vorbehalten. Das Stoßgebet soll die Ausnahme sein und nicht die Regel. Insofern nimmt Luther uns in die Pflicht, Beten als Beruf oder Berufung zu verstehen: Gott ruft uns zum Gebet. Er will mit uns reden.

Im Handwerk kann man seiner Hände Werk betrachten. Beim Beten ist das anders. Meine Hände stellen nichts her außer eine Verbindung zu Gott – und auch das nur im übertragenen Sinn. Welchen Einfluss ein Gebet auf die Ereignisse in der Welt hat, lässt sich nicht nachweisen. Die Frage ist aber auch: Geht es beim Beten überhaupt darum, Gott in die Pflicht zu nehmen? Jesus sagt dazu: Euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Der Sinn des Betens ist offensichtlich woanders zu suchen.

Einerseits öffne ich mich für Gott. Ich kann aussprechen, was mich bewegt. Ich kann Gott mein Leid klagen. Ich kann Gott um etwas bitten, für mich selbst oder für andere. Ich kann Gott danken oder ihn loben. Kurzum: Ich kann mein Leben mit Gott teilen. Dadurch gewinne ich Abstand von mir selbst. Das kann sehr heilsam sein. Indem ich vor Gott ausspreche, was mich bewegt, öffne ich mich gleichzeitig für Gott. Damit empfange ich, was Luther geistlichen Segen nannte. Gott schenkt mir, was ich zum Leben wirklich brauche: Vertrauen, Mut und Zuversicht.

Beten ist durchaus so etwas wie ein geistliches Handwerk. Aber das Ergebnis ist nicht meiner Hände Werk. Beten ist keine Arbeit, kein christliches Pflichtprogramm. Beten ist Beziehungsarbeit. Im Gebet teile ich mein Leben mit Gott. Und Gott nimmt Anteil an meinem Leben. Wo das passiert, da kann ich mich glücklich schätzen.

Pastor Alexander Wilken