Ein gutes Buch und ein Cappuccino. Sommerpause. Urlaub. Noch ein paar Tage, dann würden auf mich die vielen Mails warten, die nach zwei Wochen Urlaub so auflaufen. Ich saß im Eiscafé. Ich bin gern dort, im Sommer auf dem Bürgersteig stehen zahlreiche Tische aneinandergereiht, die Menschen ziehen an einem vorbei, zu Fuß, mit Kinderwagen, Rollator und Fahrrad, laut und leise, die ganze Welt gibt sich ein Stelldichein. Man ist mitten im Leben und kann doch eine kleine Auszeit an einem langen Arbeitstag nehmen oder eben an einem der letzten Urlaubstage versunken in einem Buch dort sitzen.
Aus dieser Perspektive sehe ich die Pauluskirche sonst nie: Von der Straße gegenüber, davor das schöne Blumenbeet. Der Gemüse- und Einzelhändler neben dem Eiscafé erzählte mir einmal – der er von morgens bis abends von seinem Laden aus die Pauluskirche sieht - wie oft Menschen anhalten würden und ein Selfie von sich und der Kirche machten. Ich sah es selbst einmal, ohne Blumenbeet im kalten März: Eine Mittfünfzigerin hielt ihr Smartphone in die Höhe.
Nun also waren alle Plätze im Eiscafé gefüllt in diesem ewig währenden Sommer. Neben mir hörte ich unfreiwillig das Gespräch mit. Zwei Frauen mit ihren Kindern. Die eine fragte die andere: „Ist das noch eine Kirche?“ Und zeigte zur Pauluskirche. Die andere: „Ja, eine polnische.“ Die erste: „Eine polnische?“ Sie fand es ebenso wie ich nicht naheliegend, in Bremerhaven eine polnische Kirche zu finden. Und ja auch die Frage dahinter, was eine polnische Kirche sein soll, eine polnisch-sprachige? Aber sie ließ die Aussage der anderen so stehen.
Ja, die Frage, wird sie noch als Kirche genutzt, kenne ich. Es ist die Frage von eher mit der Kirche aus der Übung Gekommenen. Oder die Frage, ob es eine katholische Kirche sei, höre ich auch oft. Seemänner, die auf dem Weg vom Hafen in die Stadt in ihrer Arbeitskleidung hereinschauen, sich bekreuzigen und nach einem Weihwasserbecken Ausschau halten.
Aber zurück zum Gespräch am Nachbartisch. Ich las weiter in meinem Buch. Die beiden Frauen brachen mit ihren Kindern auf, wechselten die Straßenseite und gingen die Auffahrt zur Kirche hoch. „Ach“, dachte ich, „vielleicht braucht es doch einen Schaukasten direkt an der Kirche.“ Den großen, dreiteiligen an der Straße, bei dem sie hätten herausfinden können, um was für eine Kirche es sich handelt, bemerkten sie gar nicht. Als ich wieder hochguckte, kam die jüngste Tochter die Treppe von der Haupttür herunter. Vielleicht hatte sie nachgeschaut, ob offen ist.
Es wäre schön, die Kirche könnte den ganzen Tag offenstehen, kam mir wie so oft in den Sinn. Die großen, schweren Holztüren weit auf. Einladend, Stille, Kühle (in diesem langem Sommer super!).
Wenn wir in der Kirche in der Woche über zu tun haben, eine Besprechung, Stühle rücken und die Kirchentüren offenlassen, kommt fast immer jemand hinein, ein Opa mit Enkelin aus Leherheide, die beide die Oma zum Zahnarzt nebenan gebracht haben. Urlauber, die durch Lehe laufen und nur einmal kurz diese norddeutsche Kirche betreten wollen. Ein junger, hip aussehender Mann, der seiner Freundin per Livevideo den Kirchenraum von außen und dann von innen zeigt und sie die Freude miteinander und über diese Kirche teilen. Oder jemand, der rastlos durch die Straßen läuft und seine Gedanken sortieren muss, einen Moment der Ruhe benötigt, eine Kerze anzünden will.
Wären da nicht immer die Diebstähle, die selbst passieren, wenn wir vor Ort sind, und der Vandalismus, den wir fürchten und auch außerhalb der Räume erleben. Selbst in den vielen schönen, großen, offenen katholischen Kirchen Wroclaws (Breslau) sah ich immer eine Ehrenamtliche im Hintergrund, die die Kirche hütete. Aber wir in Lehe haben nicht solch eine Anzahl an Freiwilligen, die sich den Tag über aufteilen würden und die Kirche hüten und sie den Menschen öffnen und auch dann die Lust nicht verlieren würden, wenn keiner käme. Schön aber wäre es dennoch, wenn sich diese stundenweise finden ließen, die eigenständig mit Schlüssel in der Hand die Kirche hüten und den Menschen diesen großen, stillen Raum öffneten, in dem man zu Gott finden kann. Danach wüssten die Besucher bestimmt auch, dass die Kirche kein Museum ist, sondern die Menschen in ihr sonntags Gottesdienst feiern, in evangelisch-lutherischer Tradition und in deutscher Sprache und sehr gern mit Besuchern und Besucherinnen aus aller Welt …
Pastorin Andrea Schridde, Ev.-luth. Michaelis- und Pauluskirchengemeinde