Ein Sommerabend. Berlin-Mitte. 28 Grad mindestens. Ich war schon ein wenig müde. Verschwitzt sowieso. Aber es war mein letzter Abend und die letzte Möglichkeit in diesem Sommer. Eine Freundin hatte mich neugierig gemacht. Sie hatte ein Bild geschickt, ich speicherte es sofort als Foto auf dem Startbildschirm meines Smartphones. Eine Friedhofskapelle in Blau getaucht. Ein Altar, der gläsern in Farbe leuchtet. Ich war fasziniert von diesem Licht. Ich wollte das selbst sehen.
Am Abend boten sie eine Führung an. Bei Sonnenuntergang. Dafür war die Lichtinstallation programmiert. Von James Turrell. Ein international bekannter Raum-Licht-Künstler aus den USA. Aus einer Quäkerfamilie stammend. Quäker glauben daran, dass das Licht Gottes in jedem Menschen zu finden ist. Die Wurzel seiner Arbeiten liegt in dieser religiösen Tradition seiner Familie und seiner Kindheit begründet.
Nun war ich eine der Ersten, die den Friedhof in der Chausseestraße betrat, den Dorotheenstädtischen Friedhof. Der, auf dem die Berühmtheiten der Stadt und des Landes liegen. Es war schon dämmrig. Die Kapelle leuchtete. Nach und nach sammelten sich die Menschen. Vielleicht waren wir so dreißig Personen. Fast alles junge Leute zwischen 20 und 30, bis auf zwei ältere Frauen sprachen alle Englisch. Vielleicht waren die jungen Leute in Berlin zu Besuch, vielleicht leben sie für eine Weile in Berlin. In Mitte wird dieser Tage viel Amerikanisch oder Englisch gesprochen. Berlin ist derzeit einer der angesagtesten Orte auf der Welt.
Die junge Kunststudentin führte uns ein in das Werk von James Turrell. Und wie es zu dieser Arbeit kam. Die Kapelle auf dem Friedhof sollte neu gestaltet werden. Sie atmete bis dahin innen noch den Charme der 1960er. Außen ein alter schinkelähnlicher Bau, tempelgleich. Man wollte mehr, als nur die alten 60er-Jahre-Bänke rausreißen. So kam man auf die Idee mit dem Licht und der Anfrage an den Künstler. Sponsoren wurden gefunden. Der Künstler kam nach Berlin und hatte sofort Lust zu dieser Arbeit und erste Ideen.
Nun ist bei Trauerfeiern das Licht in der Kapelle in einem schönen, warmen Weiß getaucht und abends bei Sonnenuntergang wird es bei Führungen farbig: blau, grün, violett, pink und viele Stimmungen dazwischen. Die Lichtquellen sieht man nicht. Die Übergänge der Lichter sind so fließend, man nimmt sie nicht wahr. Nicht nur der Raum ist in Farbe gehüllt. Auch der Altar leuchtet von innen heraus. Die Installation bleibt dauerhaft. Die ersten Musikerinnen und Künstler fragen an. Sie möchten in der Kapelle Musik machen oder eine Lesung halten. Das Leben erhält Einzug am Ruheort der Toten.
Nun saßen wir also da an einem Samstagabend. Eine Gemeinschaft, die dem Licht folgte. Die halbstündige Einführung war zu Ende. Die angehende Kunsthistorikerin musste sie zu Ende bringen, weil das Licht nun immer intensiver wahrnehmbar wurde. Draußen war es inzwischen dunkler geworden. Und die Besucher wollten das Licht betrachten.
Sie beendete ihre Rede und was dann passierte, beeindruckte mich tief. Die jungen Menschen ließen in der nächsten halben Stunde ihre Blicke durch den Raum schweifen. Sie wurden Teil dieses Lichts um sich herum. Irgendwie eingehüllt. Irgendwie geschützt. Irgendwie herausgenommen aus der Zeit.
Keiner redete. Und wenn, dann ehrfürchtig leise. Es war ruhiger, es war konzentrierter als in so manch einem Gottesdienst. Es fühlte sich an wie ein gemeinschaftliches Gebet.
Einige von uns machten Fotos. Aber nicht wie sonst, wo alle nach vorne stürzen. Nein, wir machten es sitzend aus den Bankreihen heraus oder gingen nach ganz hinten und achteten darauf, dass keiner den anderen störte oder sich in den Mittelpunkt stellte.
Als wir alle den Raum verlassen mussten, als die Führung beendet war, stellten sich einige vor dem leuchtenden Altar und ließen sich von ihren Partnerinnen oder Freunden fotografieren. Es war, als würden sie versuchen, auf dem Foto etwas von Gott einzufangen. Als würden sie so dem Heiligen näher kommen können. Einer faltete die Hände vor dem Altar. Vielleicht hatte an dem Abend Gott zu uns gesprochen.
Der Startbildschirm meines Smartphones zeigt nun die Kapelle in Pink …
Pastorin Andrea Schridde, Michaelis- und Pauluskirchengemeinde,
Leiterin der Kulturkirche