„Alle Jahre wieder“, beginnt ein 1837 veröffentlichtes bekanntes Gedicht des ostdeutschen Pastors Wilhelm Hey, „kommt das Christuskind / auf die Erde nieder, / wo wir Menschen sind.“ - Wer ist eigentlich dieses Christkind?
In dem von Friedrich Silcher vertonten Kindergedicht heißt es ja immerhin noch „Christuskind“. Und es ist natürlich klar, dass hiermit irgendwie Jesus Christus gemeint ist. In unserem allgemeinen Sprachgebrauch aber ist es, viel niedlicher, zum Christkind geworden.
Es oder er kommt wieder, jedes Jahr zu Weihnachten, zum Fest der Christgeburt, was ebenfalls einleuchtet. (Allenfalls könnte man sich verwundert fragen, ob und warum es denn zwischendurch dann mal weg ist. Aber dieser Frage soll hier nicht weiter nachgegangen werden.) - Das Christkind scheint eine Art Eigendynamik zu haben, die es auf markante Weise von dem neugeborenen Jesusbaby unterscheidet: das „ewige Kind“, sozusagen. Denn ich sehe hier vor meinem inneren Auge nicht so sehr ein Neugeborenes, sondern eher ein kleines Kind, das z.B. schon laufen kann. Es kommt bereits als „fertiges“ Kind „auf die Erde nieder“, also doch wohl vom Himmel herab. Das ist eine andere Erscheinungsweise als „geboren werden“. - Eine niedliche Fantasiegestalt? Wie dem auch sei …
Was tut es hienieden? „Kehrt mit seinem Segen / ein in jedes Haus, / geht auf allen Wegen / mit uns ein und aus.“ - Jedes Haus, in das es einkehrt, wird von seiner Aura, seiner Ausstrahlung erfüllt. Unsere Häuser, unsere Wohnungen, die Stätten unseres täglichen Lebens: voller Segen, voller Glanz. Und damit doch auch und vor allem wir, die wir darin wohnen, von dem Christkind gesegnet. Und das nicht nur drinnen, sondern auch draußen: Wenn wir unsere alltäglichen Wege ein- und ausgehen, begleitet es uns.
Dieses Kind, das Christkind, Jesus Christus geht mit uns. Wenn es bzw. er vom Himmel, von Gott kommt - Gottes Kind, nach unserem Glauben sogar Gott selbst ist! - haben wir es mit mehr als einer Art niedlichem Schutzengel zu tun. Dann ist das Christkind eine Verkörperung des Immanuel, hebr. für „Gott mit uns“. Das ist einer der besonderen Namen aus der hebräischen Bibel, unserm Altem Testament, der Jesus beigegeben wurde.
Auf geheimnisvolle und hier auch irgendwie niedliche Weise ist Gott immer bei und mit uns, zuhause und auf allen Wegen von der Wiege bis zur Bahre. Geheimnisvoll, mit anderen Worten „still und unerkannt“; das heißt, wir merken es nicht oder vielleicht auch nur nicht immer: „Steht auch mir zur Seite / still und unerkannt, / dass es treu mich leite / an der lieben Hand.“
Also quasi unsichtbar, so still und zurückhaltend ist es. Denn wie merken, spüren, fühlen wir denn auch Gott? Mit unseren Sinnen? Sehen, hören, riechen, ertasten? Nein! - In einem anderen bekannten Lied, „So nimm denn meine Hände“, heißt es ähnlich: „Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht“. Und eine geradezu grandiose Analogie findet sich in der „Weihnachtsgeschichte“ des Johannesevangeliums (Kap. 1). Von dem Licht, das mit Jesus Christus, dem Wort Gottes, in die Welt gekommen ist, lesen wir da: „und die Welt erkannte es nicht“. Dann jedoch auch, als Geschenk des Glaubens: „wir sahen seine Herrlichkeit“. Die Liedzeile aus „So nimm denn meine Hände“ geht ebenfalls, entgegen unserer Erfahrung, als Aussage des Glaubens weiter: „du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht.“
Zuhause und auf unseren alltäglichen Wegen von der Wiege bis zur Bahre also und darüberhinaus bis zum Ziel bei Gott: Immanuel, „Gott mit uns“, auch durch die Dunkelheit, die Nacht, selbst durch die Nacht des Todes. Von Gottes Hand geführt, von Jesus Christus oder eben von dem Christkind treu geleitet „an der lieben Hand“. Was für eine Vorstellung: Das Kind führt mich an der Hand, die kleine Hand in meiner!
Welche Realität, besser: welche Wirklichkeit, noch besser: welche Wirksamkeit hat Gott, hat Jesus Christus, hat das Christkind für mich? Welche Aura, welche Ausstrahlung, welcher Glanz, welcher Segen kommt da zu mir, erfüllt mich - aber, ach: unerkannt! Und doch immer da, zuhaus und auf allen Wegen - aber, ach: Ich fühl‘ es nicht … kann es bestenfalls glauben.
Oder doch? Manchmal, in seltenen Glücksmomenten, irgendwie so beseelt, gesegnet von seiner Macht und Herrlichkeit - oder wie an einer lieben Hand ...
Pastor Matthias Schäfer, Kirchengemeinde Wulsdorf