„Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“ (Galater 5,22-23)
„Das Gute ist der Feind des Besseren.“ Dieser Spruch wird gern von ehrgeizigen Menschen in Unternehmen und Behörden zitiert. Dahinter steht das Bestreben, Arbeitsabläufe oder die Qualität von Produkten ständig zu verbessern. Das wird gestützt durch Instrumente wie Qualitätsmanagement und Controlling.
Was im Bereich der Wirtschaft ebenso wie in Behörden zu einem üblichen Vorgehen geworden ist, passt gut zu der Lebenseinstellung vieler Menschen in unserer Gesellschaft. Alles soll schneller, besser, größer werden. Sie wollen das Optimum erreichen. Ihr Ziel ist ein möglichst hohes Maß an Perfektion im Beruf wie im eigenen Leben.
Sie setzen sich oft hohe Ziele und wollen durch Leistung punkten. Dafür rackern sie sich ab. Sie bringen es zu etwas, bauen ein Haus, fahren ein schickes Auto und können ihren Kindern die Markenkleidung kaufen, mit der sie bei ihren Freundinnen und Klassenkameraden dazugehören.
Wer so lebt, hat oft auch hohe Ansprüche an sich selbst. Er oder sie will alles richtig machen und sehnt sich vielleicht nach Anerkennung durch andere. Bei diesen Menschen ist der Spruch, dass Arbeit das halbe Leben sei, unpassend. Denn bei ihnen macht die Arbeit mindestens drei Viertel des Lebens aus. Eine Zeit lang geht das gut, vielleicht sogar viele Jahre. Doch dann macht der Körper nicht mehr mit. Erst werden die Erkältungen häufiger, dann kommen Herzprobleme hinzu. Das familiäre Umfeld und die Kollegen stellen ständige Gereiztheit gepaart mit Überempfindlichkeit fest. Eines Morgens kommt es zum Kollaps. Diagnose: Burn-out, ausgeprägtes Erschöpfungssyndrom.
Immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft werden durch so eine Diagnose gezwungen, umzudenken und auf gewisse Weise neu leben zu lernen. Werte wie Perfektionismus oder der Drang, es allen recht machen zu wollen, werden jetzt als krank machend entlarvt. Viel wichtiger wird nun die Erlaubnis, auch mal Fehler machen zu dürfen. Was geschieht in einem erschöpften Menschen, wenn auf diesen inneren Entwicklungsprozess der folgende Satz aus dem Galaterbrief trifft? „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“
Und was geschieht in Ihnen, wenn Sie diesen Satz hören? Mich droht dieser Katalog von christlichen Tugenden zu erschlagen. Wenngleich ich versuche, vieles richtig und gut zu machen, bin ich alles andere als ein guter Mensch. Meine Ungeduld wird eines fernen Tages eine halbe Stunde nach mir sterben, von Langmut keine Spur. Und wenn mir jemand unsympathisch ist, fällt es mir sehr schwer, trotzdem freundlich zu sein. So könnte ich auch im Blick auf die anderen Worte des Verses Gegenargumente finden. Der Anspruch des Textes ist für mich unerfüllbar. Schade eigentlich! Bin ich zum Scheitern verurteilt?
„Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“ Mit großer Selbstverständlichkeit habe ich diesen Satz mit dem Blick der Perfektionistin gelesen, als wäre er eine Anweisung dafür, wie ein guter Mensch zu sein hat und was er oder sie zu leisten habe. Dabei ist der Satz ganz anders aufgebaut. Er beginnt mit den Worten: „Die Frucht des Geistes ist …“ Anstelle einer zu erbringenden moralischen Leistung steht im Mittelpunkt also der Geist. Er bringt als Frucht eine bestimmte Lebenshaltung hervor.
Den Geist schenkt Gott. Das Einzige, was wir dafür tun können, ist, uns ihm zu öffnen und uns von ihm an- und ausfüllen zu lassen. Dem Geist in sich Raum zu geben bedeutet, etwas an sich geschehen und durch sich hindurchfließen zu lassen, anstatt selbst etwas zu machen oder zu vollbringen. So kann der Geist in Ruhe in uns wirken, wenn wir ihm unser Herz als Nährboden zur Verfügung stellen. Dadurch kommt es vielleicht irgendwann zu einem inneren Wertewandel. Perfektion verliert dann ihren Glanz und weicht Eigenschaften, die uns helfen, menschlich zu leben. Dann ist das Gute der Freund des Geistes, der das Leben ohne Messlatte lebenswert macht. Dass uns dies gelingen möge, wünscht Ihnen
Pastorin Beate Kopf
(Markuskirchengemeinde Leherheide)