Im Reiseführer war Marilyn Monroe groß angekündigt. Ein Foto zeigte eine Staute von ihr, die direkt am Hafen stehen sollte, um auf die norwegischen Filmfestspiele hinzuweisen, die jedes Jahr im August in Haugesund stattfinden.
Stimmt, die Statue war da. Ich ging vorbei, denn im Reiseführer war mit letztem Satz noch erwähnt: Neben dem Nationaldenkmal sei auch ein altes Steinkreuz auf einem Kreuzhügel.
Im Stadtplan hatte ich den Ort einigermaßen identifiziert, nicht ganz nah, aber erreichbar. Mein Weg führte durch die Fußgängerzone, durch einen kleinen Park, durch Einbahnstraßen, nur frei für Radfahrer, Schule und Kindergarten lagen am Weg, Häuserreihen, eine Kirche, ein Friedhof, Einfamilienhäuser. Doch ich näherte mich, gleich müsste ich etwas sehen können.
Ja, die Fahnen des Nationaldenkmals, der Obelisk in der Mitte, darum 29 aufgestellte Steine, im 19. Jahrhundert an der Stelle errichtet, an dem sich die verschiedenen Volksstämme zu Norwegen zusammengeschlossen hatten. Ein Mann und eine Frau waren noch unterwegs, fotografierten die Anlage.
Daneben auf einem Hügel das Kreuz. Wie in Skandinavien üblich war ein Rasenweg durch Wiese, Büsche und Brennnesseln hindurch gemäht. Ich ging den Hügel hinauf und stand dann vor diesem Kreuz in der nächtlichen Sonne.
Es ist alt. In der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts wurde es errichtet. Es ist ca. 3 m hoch. Es ist aus Granit, im 19. Jahrhundert auseinandergebrochen und mit Hilfe von Eisenringen wieder zusammengesetzt.
Ich stand davor, still war es, ich spürte meinen Atem und bewunderte dieses alte, steinerne Kreuz. Schlicht und erhaben leuchtete es in den Himmel, hinter ihm entweder die Einfamilienhäuser oder das Meer mit Schären, Inseln und dem Hafen. Ein besonderer Ort.
In frühchristlicher Zeit wurden diese Steinkreuze errichtet, um Versammlungsorte oder Gräber als christlich zu kennzeichnen. Dies kennzeichnete einen Ort, es steht direkt auf dem Felsen.
Hier wurden Gottesdienste gefeiert, bevor in der Nähe eine Kirche gebaut war und nachdem diese Kirche wieder zusammengestürzt war, es war nichts mehr von ihr zu sehen. Über die Jahrhunderte hinweg wird dieses Kreuz von Menschen betrachtet, aus Neugier, zum Gebet. Versammeln sich hier noch Menschen zum Gottesdienst?
Ein schlichtes und erhabenes Zeichen christlichen Glaubens. Trotz des Gestrüpps drumherum.
Kein Gedränge wie in einer Kathedrale. Keine Demonstration von Macht und Stärke. Der Natur ausgelieferte Schönheit. Wird es vergessen, dieses Kreuz? Wird es weitere 1000 Jahre dort stehen? Was geschieht mit dem Geist, in dem es dort errichtet wurde, mit unserem Glauben? Wird er vergessen? Werden Menschen weitere 1000 Jahre in ihm leben?
In Aberdeen habe ich in der kleinen Altstadt eine Kirche entdeckt, die inzwischen zur Kneipe umfunktioniert war. Im „Schaukasten“ hing die Preisliste der vorrätigen Biere. In Monstrose beherbergt eine kleine Kirche jetzt eine Art Krabbenland, ein Spieleparadies für Kinder. In Whitby wird die Ruine der Klosterkirche touristisch erschlossen.
Was geschieht mit den Menschen, die ihre Kirchen aufgeben (müssen)?
Mich hat das Granitkreuz vom Kreuzhügel in Haugesund im Herzen erfreut. Dieses schlichte, erhabene und preisgegebene Zeichen unseres christlichen Glaubens. Ich wünsche mir, dass noch viele Menschen den Weg zu ihm finden.
Susanne Wendorf-von Blumröder, Superintendentin